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2014/10/21

Reeperbahn Festival - Hamburg (17. - 20.09.2014)

Wie oft schon hatte ich geliebäugelt einmal beim Reeperbahnfestival dabei zu sein. Doch im September standen meist Hochzeiten oder eben das Studium an erster Stelle. Nicht aber in diesem Jahr. Vielleicht lag es auch an dem netten Abend bei Nürnberg Pop - ebenfalls ein Indoor Newcomer Festival - das uns überzeugte, dieses Jahr endlich auf die Reeperbahn zu fahren. Wir selbst wissen nicht mehr, was der entscheidende Auslöser war, aber bereits Ende des Jahres sicherten wir uns die Early Bird Tickets für faire 75 Euro und richteten unsere Urlaubsplanung danach.

Bands waren zu diesem Zeitpunkt noch keine bekannt. Wir verließen uns einfach darauf, dass schon was dabei sein würde, was uns gefällt. Bis zum Schluss. Denn wirklich viel kannten wir nicht. Wie auch - schließlich ist es ein Newcomer Festival. Klar waren auch ein paar alte Hasen dabei, aber im Vordergrund steht beim Reeperbahnfestival das Entdecken neuer Musik. Und das taten wir - oh ja!

Seit dem Frühjahr purzelten immer mal wieder neue Bestätigungen rein. Mal tippten Dirk und ich uns gegenseitig vorfreudige Nachrichten, wenn ein uns bekannter Künstler dabei war - mal nur ein ernüchterndes "Sagt mir gar nichts". Und doch wusste ich: Es wird genial! 4 Tage neue Musik mit liebsten musikbegeisterten Menschen in der Musikstadt schlechthin - das kann nur gut werden.

In die Detailplanung konnten wir erst etwas zwei Wochen vorher gehen als endlich der Zeitplan feststand. Zwei Wochen um sich durch über hundert Künstler durchzuhören, sind schon sehr knapp. Auch wenn wir Urlaub hatten, schließlich waren wir tagsüber unterwegs und abends von den ganzen Eindrücken eigentlich viel zu erschöpft. Zudem mussten wir auch Überschneidungen bedenken und die Frage "Was ist, wenn irgendwo Einlassstopp ist" beschäftigte uns ebenfalls.

Am Ende sah ich alles, was ich sehen wollte - sogar noch mehr, denn in den Zeiten, wo wir nichts geplant hatten, traten am N-Joy Reeperbus einige Künstler auf, um einen kleinen Vorgeschmack auf ihr Konzert zu geben. Das lohnte sich für beide Seiten, denn zweimal warf ich so meine Pläne über Bord und entschied mich die Band am Abend noch einmal zu erleben. Viel haben wir gesehen. Teilweise zu viel, um alles in detaillierter Erinnerung zu behalten - manche Künstler stachen aber auch einfach heraus. Um niemanden zu vergessen, muss ich meinen Spickzettel rausholen:

Skinny Lister (Reeperbus, Spielbude) waren der Kracher am Mittwoch - bitte lass sie mich noch einmal in einem irischen Pub erleben, wo es ganz furchtbar nach Bier stinkt und die Iren mit der Sängerin auf den Tischen tanzen. Das ist genau die Stimmung, die bei ihrer Musik live rüberkam.
Exclusive (Reeperbus) - waren in Ordnung, überzeugten mich nicht so, dass ich sie hätte noch mal sehen wollen. Carson McHone (Hasenschaukel) - sah ich leider nur kurz in der Hasenschaukel, weil wir zu Jesper Munk weiter wollten. Klang richtig gut. Jesper Munk (Imperial Theater) - allein die Atmosphäre im Imperial Theater war schon einmalig. Dann die kräftige, tiefe Stimme dieses jungen Mannes. Wir in der zweiten Reihe. Ja, das gefiel mir ganz gut. Ich gebe aber zu, dass dieses Konzert nicht so lang in meinem Kopf präsent war wie manch anderes. Kapellen Herrenweide (Spielbude) sahen wir leider nur im Vorbeigehen, klang ganz witzig. Luca Vasta (Prinzenbar) - Sie war ganz nett, mir etwas zu poppig. Von der Prinzenbar als Konzertort war ich begeistert.

Talking to turtles (Imperial Theater). In den gemütlichen Kinosesseln nickte ich zwar beinahe ein, aber das war wohl mehr der Uhrzeit als der wunderbar zarten Musik geschuldet. Die beiden in Leipzig lebenden Rostocker harmonierten perfekt. Er, der auf eine sympathisch-witzige Art munter für das englischsprachige Publikum übersetzte und auch für das deutsche: "Das nächste Lied heißt Passenger Seat. [Denkpause] Beifahrersitz." Sie, die sich wegen seiner Kommentare immer nur an den Kopf fasste, was aber ebenso sympathisch rüberkam. Als die Zeit um war, entschied er einfach noch ein, zwei Lieder zu spielen, da sie ohnehin die letzte Band waren. Dass sie vor der Zugabe nicht von der Bühne verschwanden, lag wohl eher an seiner Verpeiltheit - ihr sah man an, dass sie gern noch den Spannungsbogen aufgebaut hätte. Herrlich, mein kleines Highlight. 

JF Robitaille (Neidklub) - fanden die Männer nicht so toll, ich war irgendwie total begeistert, weil da ein Hauch von Conor Oberst in der Stimme lag. Sehr angenehm. Klo Pelgag (Neidklub) - Niedliches Mädchen im Skelettkostüm. Die Band um sie herum ebenfalls in gewöhnungsbedürftiger Kleidung. Wenn man sie sieht, denkt man: Oh je, was kommt denn jetzt. Aber das was kam, war wirklich überzeugend. Frische französische Musik aus Kanada. Olivia Anna Livki (Spielbude) war mir zu sehr vom anderen Stern. Team me (Reeperbus) gefielen mir ganz gut - schöner Indie-Pop - konnten wir uns aufgrund Überschneidungen aber leider kein zweites Mal ansehen. Dafür passte es bei The Majority Says (Reeperbus, Moondoo). Die Sängerin war zu niedlich und ich hatte noch zwei Tage später einen Ohrwurm. Jordan Klassen (Hasenschaukel) - Super Musik, tolle - aber zu warme und überfüllte - Location. Mir gefielen besonders auch die Lieder, die von seiner weiblichen Begleitung stimmlich ergänzt wurden. Adna (Jazz-Café) war angenehm, aber nicht die Entdeckung für mich. Maxim (Docks) - ach, ich weiß auch nicht warum, aber dieser Künstler hat mich noch nicht erreicht. The Subways (Docks) - haben von der ersten Sekunde an gerockt. Oh yeah. 

Mo Kenney (Neidklub) - eine kleine Überraschung, weil ich vorher gar nicht wusste, was mich erwartet. Sehr überzeugende Stimme, Musik ohne viel Schnickschnack. Lay Low (Spielbude) - ich kannte sie schon als Support von Monsters and Men, hat sich gelohnt sie noch mal zu sehen. In Flight Safety (Neidklub) überzeugten mich nicht, sodass ich die Zeit mit einer Fotoausstellung (Peter Koudstaal - Music brings us together) überbrückte. The dead south (Neidklub) - ich habe noch nie vier Männer mit Bart gesehen, die auf so geniale Art ein Bier aufmachen. Gossling (Molotow) - nachmittags, warm. Ich lauschte vom Biergarten aus und bekam leider nicht so viel mit, aber defintiv eine interessante Stimme. Im Übrigen hatte ich Hunger und war stinkig. Denn nachdem die bei KFC es zu dritt nicht hinbekamen, eine Bestellung aufzunehmen, stellte sich heraus, dass sie weder Hamburger noch Cheeseburger haben: "Wir sind nicht McDonalds". Muh.

Leo Stannard (Turmzimmer) - Überzeugende Stimme ohne wenn und aber. Talisco (Große Freiheit 36) - war gut, aber hat sich nicht in meinen Kopf eingebrannt. Cats on trees (Grünspan) - zwei Franzosen die wunderbar in englischer Sprache musizieren. Als Sirenes Call erklang, lag ein Hauch von Philipp Poisel ("Versteck mich, wo du mich nicht findest...")  in der Luft und im nächsten Moment glaubte ich Amy MacDonald zu vernehmen. Lohnt sich! Oh und das Cover von "Mad world" war so bewegend, dass mein Begleiter Gänsehaut bekam. Jeannie Abrahamson (Nochtspeicher) - wenn Blicke töten könnten... The Mispers (Rock Café) - mussten nach Folk im Park einfach noch mal sein und das ist auch gut so: Immer wieder. All the luck in the world (St. Pauli Kirche) - allein der Kulisse und Akustik wegen in der St. Pauli Kirche ein kleines Highlight, beinahe hätte ich drauf verzichtet, weil ich mich nicht allein durch den Park traute, zu viel Amsterdam lag in der Luft. Aber ich hängte mich einfach an andere Festivalbesucher und kam sicher an mein Ziel. July Talk (Rock Café) - cooles Zusammenspiel zwischen dieser tief-männlichen und piepsig-weiblichen Stimme, auch wenn ich leider nur aus dem Vorraum lauschte, weil es drinnen zu voll und stickig war.

Alice Phoebe Lou (Spielbude) - Spätestens als sie ihren Berlin Blues anspielte, war ich endgültig verzaubert. Handgemachte Musik - wunderbar kräftige Stimme von so einem zarten Mädchen. Was für ein perfekter Start in den letzten Festivaltag. Danach lauschten wir der Love & Hate Mail Lesung, u. a. mit Kathrin Weßling, und schauten noch bei der Fotoausstellung (Frank Egel - Catch of the day) vorbei - beides echt gut. Intergalactic Lovers (Große Freiheit 36) - Im Mai hatte ich darauf verzichtet, sie im K4 Nürnberg zu sehen. Zum einen studiumbedingt, zum anderen war ich noch nicht ganz überzeugt. Nun aber weiß ich: Diese Musik sollte ich mir kein zweites Mal live entgehen lassen. Kräftige Stimme, super Stimmung, klasse Bühnenpräsenz, tolle Musik.

Anna F. (Knust) - eigentlich ging ich nur hin, weil unser Freund sie unbedingt sehen wollte, ich gern ins Knust wollte... na und vielleicht auch, weil das Reeperbahnfestival sie wie folgt vorgestellt hatte: #MädelsHaltetEureMännerFest. Wir standen ganz vorn und hach, wie niedlich sie war. Ich bin ja immer begeistert, wenn man den Künstlern ansieht, wie viel Spaß sie haben auf der Bühne zu stehen und das war bei der Österreicherin definitiv der Fall. Cool kam auch ihr Unbelievable Cover rüber. Yalta Club (Spielbude) - machten super Stimmung, konnten aufgrund von Überschneidungen leider nur im Vorbeigehen zuhören. Judith Holofernes überzeugte mich wieder nicht, obwohl ich ihre Stimme sehr mag, und ich war ein wenig entsetzt als ich mir später den Mitschnitt von der Höchsten Eisenbahn ansah und sie bei "Vergangenheit" nicht mit auf die Bühne kam - dabei waren sie hintereinander im Docks aufgetreten. Da bin ich wieder einmal froh, dass ich das Glück hatte Die Höchste Eisenbahn im Juni im Astra Berlin mit all ihren musikalischen Freunden zu erleben.

AnnenMayKantereit (Übel & Gefährlich) - Bei keiner anderen Band stand für mich so frühzeitig fest: Da muss ich hin. Zu recht! Auch meine Begleiter waren begeistert von dieser tiefen Stimme, die in manchen deutschen Stücken ein wenig sanfter wurde und an Clueso erinnerte. Sehr wandelbar also und definitiv steckt in den Jungs, die ohne Plattenfirma arbeiten, noch viel Potenzial. In den Konzertraum im vierten Stock des Bunkers an der Feldstraße wurden wir im Fahrstuhl übrigens von einer witzigen Gestalt begleitet, die eine Musikbox bediente. Einar Stray Orchestra (Knust) - ich weiß nicht, ob melancholisch das richtige Wort ist, aber ich hörte nur mal kurz rein. Es klang schön, aber nach Mitternacht nicht so ganz das richtige für mich. Russian Red (Angie's Night Club) - das allgemeine Rauchverbot schien hier keiner ernst zu nehmen oder galt hier nicht. Dementsprechend war die Luft. Ich wartete im Vorraum - wo ebenfalls geraucht wurde - staunte über den Nivea-Automat und ja, konnte die Musik leider nicht so recht genießen, obwohl sie es glaube echt verdient hätte. Dafür huschte Svavar Knutur im Treppenhaus an mir vorbei - das macht das Reeperbahnfestival auch aus: Die Künstler laufen einen sowohl tagsüber als auch nachts über den Weg - unterwegs zum nächsten Konzert sahen wir einige bekannte Gesichter.

Wider Erwarten kamen wir überall rein. Einlassstopp gab es bei den Beatsteaks, was auch per App mitgeteilt wurde. Mein Freund konnte aber nach kurzer Wartezeit trotzdem noch an der 'Party' teilnehmen, die im Docks gefeiert wurde. Auch im Rock Café war es etwas voll als July Talk spielten, doch nachdem wieder ein paar den Club verlassen hatten, kam ich auch dort rein. Das Pendeln zwischen den verschiedenen Veranstaltungsstätten klappte ganz gut, teilweise mit U-Bahn (Knust, Übel & Gefährlich), deren Nutzung im Ticketpreis enthalten war. Nur für die Männer war es manchmal wohl nervig, sich an den penetranten weiblichen Reizen vorbei zu schlängeln. Zum Ende hin wurde ich dann doch etwas faul und entschied mich allein deshalb dagegen Madsen zu sehen, weil ich keine Lust hatte die ganze Reeperbahn runter zur Großen Freiheit 36 zu laufen.

Mit dem Wetter hatten wir mehr als Glück - jeden Tag Sonne, der perfekte Spätsommer. Vorteil: Wir mussten nicht dauern zig Pullover und Jacken mit uns rumschleppen. Nachteil: Es war einfach nur warm, aber das wäre es in den Clubs vielleicht so oder so durch die Menschenmassen gewesen. Jedenfalls verzichtete ich oft auf die erste Reihe oder mittendrin zu stehen - somit wurde ich leider auch mehr zum Beobachter und konnte die intime Clubatmosphäre nicht immer aufsaugen.

Neben Konzerten gab es natürlich noch so viel mehr: Kunstausstellungen, Lesungen, Konferenzen. Wobei mir bis zum Schluss nicht ganz klar war, ob man mit dem Festivalticket auch an den durchaus informativ klingenden Konferenzen hätte teilnehmen können. Aber da die meisten vormittags begannen oder der Terminplan eh schon so voll war, fragte ich gar nicht erst. Letztendlich war ich auch einfach mal froh um eine Pause - meist hatte ich mir nachmittags immer 2 Stunden "frei" gehalten. Dann verschwand ich mal eben in unsere Unterkunft im Schanzenviertel - für ein Nickerchen und um mir für den Abend was Wärmeres anzuziehen. Das Programm begann meist schon Mittags und ging bis zwei Uhr nachts - ohne Pausen hätte ich nicht durchgehalten.

Manchmal sehnte ich mich danach mit der Spiegelreflex ein paar Momente einzufangen. Doch ich hatte sie vorsorglich zu Hause gelassen, weil ich ahnte, dass sie beim Konzerteinlass nicht zugelassen sind. Tagsüber hätte es auf der Reeperbahn und auf dem Weg dorthin einige schöne Motive gegeben, aber deshalb am Einlass abgewiesen zu werden: Nein danke. Nun ja, so hatten wir weniger zu schleppen und konnten diese wunderbaren Momente ganz tief im Herzen festhalten.

1 Kommentar:

  1. Diese Tage im September hast du schön beschrieben! Es war einfach nur Musik, Musik und nochmals Mu...niedliche Sängerinnen! Zu meinen Highlight gehörten definitiv noch Balbina im Übel & Gefährlich und als ebenfalls eine Überraschung Rococode aus Kanada die ich beide alleine aufgesucht habe. Ein für mich rundum gelungenes Indoor-Festival, dass einen alles andere vergessen ließ. Das Geld für die Karte war so gut angelegt, dass ich jetzt schon sage "reload 2015"!

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